Wollweiche Artefakte – Herbstliche Kunstmärkte im Aostatal

Das Aostatal – Italiens kleinste Region mit den höchsten Bergen – ist stolz auf seine Handwerks-Tradition. Das Wissen um die Fertigkeiten wird seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergeg

BildEinheimische und Besucher dürfen sich zum Herbstbeginn auf urige „Miniaturmärkte“ mit regionaler Handwerkskunst in den alpinen Dörfern freuen. In offenen Ateliers darf handfertigen Valdostaner*innen über die Schulter geschaut werden. Aus den 100 % Naturmaterialien wie Wolle, Holz, Stein oder Leder werden besonders schöne Artefakte gefertigt. Als schmucke Kleinode passen sie als hochwertige Souvenirs in jedes Handgepäck: ein Stück Aostatal für „die gute Stube zu Hause“, der vom üblichen Touristennepp Berge-weit entfernt ist.
Die kunstgewerblichen Märkte mit ihren Manufaktur-Schätzen sind die Vorboten des weit über die Grenzen bekannten Sant’Orso – dem größten Kunstmarkt des Aostatals. Jedes Jahr findet er am dritten Januarsonntag im römisch-gallischen Dorf Donnas statt. Der weitläufige Markt gilt als das „Schaufenster für typische und traditionelle Handwerkerkunst des Aostatals“. Neben Skulpturen über Flachreliefs findet sich neben Holz- und Specksteinschnitzereien auch Kupfer- und Schmiedeeisernes von 500
Artisanal-Ausstellern. Auch die bekannten Holzschuhe (Sabots) und Spitzenklöppeleien (Ricamo a Tombolo) werden zu begutachten sein. Der Gott der kleinen Dinge schenkt sicher auch einem mit Kerbschnitzerei verschönten Holzlöffel sein Augenmerk … .
Wollfest Mo’delaine
Den Auftakt der Herbstmärkte macht am 5. und 6. September das Wollfest Mo’delaine in Valgrisenche – im Herzen des Aostatals. In dem auf 1700 Höhenmetern gelegenen Alpendorf mit seinem steinernen Glockenturm aus dem 14 Jhd. dreht sich alles um ein valdostanisches Kulturgut, wie es urtypischer nicht sein kann.
Zum zweiten Mal wird der Wolle ein eigenes Fest gewidmet. Initiator ist „Les Tisserands“, eine Genossenschaft, die das traditionelle Handwerk der „Draps-Webetechnik“ vor 45 Jahre wieder zum Leben erweckt hatte. Die „Draps“ sind eine sehr kompakt gewebte Premium-Tuchware. Dass das Valgrisenche Wollgewebe so einmalig ist, hat es vor allem seinen zuverlässigen Schurwolle-Lieferanten, den seltenen Rosset Aosta-Schafen zu verdanken. Seit Jahrhunderten sind sie in den Tälern des Valle d´Aosta heimisch. Bereits seit dem 17. Jahrhundert wurde die hohe Kunst des Wolle-Spinnens in der Gegend praktiziert. Durch die Nachwehen des zweiten Weltkriegs und dem Bau eines Staudamms wurde die Tradition unterbrochen. Als dann auch noch der letzte Valgrisenches „Tisseran“ Joseph Julien Frassy verstarb, schien eine große Epoche zu Ende zu gehen. Sein Sohn Jean Sulpice hielt die Tradition, durch das Wissen und die Erinnerung der Zeitzeugen und einer Sammlung von zahlreichen Niederschriften am Leben.
Auf den so genannten „métiers“ (Webstühlen) wird die Wolle auf spezielle Holzrahmen gespannt und heute wieder, zumeist von den Frauen einer Künstlerkooperative wie anno dazumal gewebt. Ein nachfolgendes Filzverfahren bewirkt eine unvergleichbare Widerstandsfähigkeit und hohe Funktionstüchtigkeit. Diese „stolze“ Rauheit“ macht das Wollgewebe zu einem vielseitig verwendbaren, äußerst strapazierfähigem Material für Bekleidung und Einrichtung. In den Bergen wurde die Draps hauptsächlich im Winter zu schweren, vor Kälte schützenden Decken gewebt. Da die dick verschneiten Täler von der Außenwelt oft abschnitten waren, hatten die Frauen viel Zeit für ihre Wollkreationen. Ursprünglich wurde das Gewebe maßgeblich in seinen natürlichen, gedeckten Ursprungs-Farben verwebt, heute findet man es mit unterschiedlichen, meist geometrischen Mustern und vielen Farbnuancen.
Marktbesucher finden an den Ständen des Mo’delaine nicht nur kuschelweiche Artefakte, sondern auch das fundierte Wissen über das wollige Alleinstellungsmerkmal der Region. Kreativworkshops und kundige Führungen durch eine ganzjährig initiierte Dauerausstellung im Vieux Quartier ergänzen das bunte Markttreiben. Dort erfährt man alles über die Zeit, als sich die Region noch als “ Pays des Tisserands“ (Land der Tuchmacher) definierte.
Sechs in der Region verteilten Artisanà Boutiquen (z.B. in Aosta oder Cogne) laden zum Stöbern und Shoppen jenseits der Märkte ein. Hier landen auch alle schmucken „Restposten“ der Fiera di Sant’Orso.
Für alle offenen Fragen und Wissensvertiefungen gib es das in Fénis verortete MAV. Das Museum für Kunsthandwerk aus dem Aostatal versteht sich zu Recht als „Hauptader“ des lokalen Handwerkes. Man findet hier das ganze Spektrum – von vergessenen und liebevoll wieder in Erinnerung gebrachten Handwerkskünsten des Aostatals.
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